„Unser“ Selbstbewusstsein
Selbstbewusstes Auftreten wird im alltäglichen Sprachgebrauch fast immer gleichgesetzt mit Dominanz, Situationsbeherrschung, Durchsetzungsvermögen, Standfestigkeit und anderen ähnlichen, gerade in der Geschäftswelt hochgeschätzten Eigenschaften. Eine gewisse Lässigkeit darf gerne dazugehören. Selbstbewusstsein, wie es sich in diesen Qualitäten definiert, wird von allen angestrebt, es verspricht soziale Anerkennung - bis hin zum Neid - und Erfolg. Es ist in diesem Sinne an bestimmte äußere Erscheinungsformen gebunden und präsentiert sich in klischeehaften Bildern. Dieses "selbstbewusste" Auftreten erfordert von Menschen ganz bestimmte Techniken und Anstrengungen. Unsicherheiten müssen verdeckt, Lücken überspielt werden, man muss schnell und flexibel reagieren, auf alles eine Antwort haben, Anfechtungen souverän überstehen.
Selbstbewusstes Auftreten ist somit Stress, es gaukelt einen Schein vor und konstruiert für die Außenwelt
ein künstliches Bild, in dem die Person nicht mehr sichtbar wird
oder kärglich ist. Selbstbewusstsein ist ein wesentliches, gesellschaft- liches Lern- und Erziehungsziel, der Erwartungsdruck ist entsprechend groß, jeder ist mit ihm konfrontiert. Paradoxer- und gleichzeitig- logischerweise ist der Druck, selbstbewusst zu erscheinen, gerade für unsichere, unselbständige, sich als schwach und unzugänglich empfindende Menschen besonders groß. Gerade sie müssen sich also besonders anstrengen, ein entsprechend positives Bild zu bewirken.
Das Resultat ist leicht nachvollziehbar: Selbstbewusstsein ist so nicht zu erlangen, es bleibt bei einem äußerlichen Verhaltensrepertoire, das als Täuschungsmanöver eingesetzt wird, um den hohen Preis ständigen Stresses und innerer Abstumpfung. Denn ein Großteil dessen, was den Menschen ausmacht, seine eigentliche Identität, muss verschleiert und unterdrückt werden.